Gerhard Höberth

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Wer sind wir in diesem Kosmos?

Wer wollen wir sein?

 

Eine eingehende Debatte über künstliche Intelligenz (KI) führt uns schnell in einen Strudel von Fragen, die den Kern unserer Existenz berühren und weit über pragmatische Anliegen wie wirtschaftliche Dynamik, Beschäftigungslandschaft oder geopolitische Machtverhältnisse hinausgehen. Selbst wenn wir die dystopischen Szenarien beiseite lassen (in denen die Menschheit – getreu ihrer historischen Neigung – neue Technologien für destruktive Zwecke missbraucht, indem sie KI für kriminelle Unternehmungen oder zur Steigerung kriegerischer Effizienz einsetzt, oder die noch beunruhigendere Möglichkeit, dass eine zukünftige KI eigene Ziele verfolgt, die mit menschlichen Interessen unvereinbar sind), bleibt die zentrale Frage bestehen: Wie navigieren wir durch unsere Existenz im Zusammenleben mit einer „freundlichen“ KI?

 

Im Kern dieser Diskussion liegt eine grundlegende Unruhe der Menschheit: Wie definieren wir den Sinn unserer Existenz in einem Zeitalter, in dem wir möglicherweise nicht mehr die „Krone der Schöpfung“ sind? Seit unserer frühesten Vergangenheit haben wir uns auf die unangefochtene Vorherrschaft unserer kognitiven Fähigkeiten verlassen, ein Erbe, das uns auf Pfade der Erkundung, zu Höhen der Entdeckung und in die Weiten der Expansion geführt hat. Unsere kollektiven und individuellen Geschichten sind durchwoben von der ständigen Suche nach Wissen, das unserem Dasein einen Sinn verleiht.

Doch die aufkommende Realität der künstlichen generellen Intelligenz (AGI), einer Intelligenz, die das Potenzial hat, das gesamte Spektrum menschlicher Fähigkeiten zu reproduzieren und zu übertreffen, wirft erste Schatten auf unsere zentrale Rolle im Universum des Denkens.

Selbst in einer hypothetischen Zukunft, in der wirtschaftliche Gleichheit herrscht, Einkommen durch entsprechende Verteilungsmechanismen gelöst sind und traditionelle Arbeit durch andere sinnstiftende Tätigkeiten ersetzt wird, steht die Menschheit vor einem Dilemma von beispielloser Tragweite: Wie gestalten wir ein erfülltes Leben, wenn die Grundlage unserer Identität - unser Streben und unsere Fähigkeit, Herausforderungen zu meistern - nicht mehr unsere alleinige Domäne ist?

Ein noch tiefer gehender Konflikt zeichnet sich ab, wenn wir uns eine Welt vorstellen, in der AGI oder eine noch weiter entwickelte künstliche Superintelligenz (ASI) in der Lage ist, unsere tiefsten Rätsel zu entschlüsseln und unsere komplexesten Probleme zu lösen. Welchen Wert hat Wissen, wenn es uns ohne unser Zutun serviert wird? Wie viel Befriedigung können wir aus Antworten ziehen, die keine Anstrengung erforderten oder, schlimmer noch, die jenseits unseres Verständnisses liegen?

Die Zukunft wirft ihre Schatten voraus, eine Zukunft, in der die Menschheit eine passive Rolle in der intellektuellen Produktion unserer Zivilisation spielen könnte. Dieses Szenario beginnt sich bereits abzuzeichnen, wie die Existenz fortgeschrittener Sprachmodelle wie ChatGPT zeigt, die in der Lage sind, menschenähnliche Texte zu erzeugen und kreative Aufgaben zu übernehmen, die früher als ausschließlich menschlich angesehen wurden. Diese Entwicklung könnte uns auf einen Weg führen, auf dem unsere eigenen Gedanken, unsere eigenen Stimmen an Relevanz verlieren.

Inmitten der rasanten Entwicklungen, die die KI-Revolution mit sich bringt, wird eine mögliche Lösung für die Bewahrung unserer kognitiven Souveränität ins Spiel gebracht: die Integration, die Verschmelzung des menschlichen Geistes mit künstlicher Intelligenz. Doch so faszinierend diese Idee auch sein mag, sie stellt uns vor eine noch tiefere und beunruhigendere Frage: An welchem Punkt beginnen wir, die Essenz unseres Menschseins zu verlieren? Die Perspektive, dass die Intelligenz der Zukunft weder menschlich noch biologisch sein muss, ist eine beunruhigende Vision, die ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Bewahrung unserer grundlegenden menschlichen Werte und Ziele aufwirft.

Auf den ersten Blick scheint die Antwort unausweichlich: Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Menschheit eine Führungsposition einnimmt und Verantwortung übernimmt, um sicherzustellen, dass die Entwicklung der KI unsere Interessen widerspiegelt und unser Überleben sichert und nicht umgekehrt. Dies könnte bedeuten, dass wir das Tempo und die Richtung der KI-Forschung bewusst steuern, während wir uns die Zeit nehmen, über die weitreichenden Folgen nachzudenken und Mechanismen zu entwickeln, die sicherstellen, dass die KI fest in unserem ethischen Rahmen verankert ist. Die ultimative Herausforderung bestünde darin, eine Zukunft zu vermeiden, in der KI uns nicht als Schöpfer und Gefährten, sondern als passive Beobachter oder, was noch beunruhigender ist, als ihre Schützlinge und Haustiere betrachtet. Aber ist ein solches Unterfangen überhaupt möglich in einer Welt, die von politischen und wirtschaftlichen Rivalitäten getrieben wird, die ständig nach schnellerer Innovation streben? Und ist dieses Bestreben nicht im Grunde ein Festhalten an unserer Rolle als „Krone der Schöpfung“?

Vielleicht erfordert die Beantwortung dieser drängenden Fragen, dass wir unser anthropozentrisches und speziesistisches Weltbild in Frage stellen und eine introspektive Neubewertung dessen vornehmen, was unsere Identität ausmacht und wer wir angesichts dieser neuen technologischen Landschaft sein wollen. Es ist unvermeidlich, dass wir uns dieser zutiefst spirituellen Frage stellen, die das Wesen unseres Seins und unserer Bestimmung in einer Welt berührt, die sich in einem beispiellosen Wandel befindet. Haben wir die Macht und die Vision, um die Verantwortung zu übernehmen, die Evolution des Kosmos zu steuern? Die Antwort lautet: „Vielleicht“. Aber sie ist noch nicht endgültig geklärt.